Zum Schulstart steht Christine vor einer Herausforderung: Ihre sechsjährige Lisa hat Neurodermitis. Seit der Geburt von Lisa kümmert sich Christine um die Hautpflege ihrer Tochter. Mittlerweile hat sie Möglichkeiten gefunden, Schüben und Ekzemen zu bewältigen. Aber jetzt kommt Lisa in die Schule. Wie geht es jetzt weiter? Ist die Lehrerin von Lisa jetzt verantwortlich für die Hautpflege? Was darf ein Lehrer überhaupt und welche Möglichkeiten hat Christine jetzt?
Lies jetzt weiter, um zu erfahren, wie du dein Kind mit Neurodermitis optimal auf den Schulstart vorbereiten kannst.
Lange Zeit war unklar, ob die Verabreichung von notwendigen Medikamenten und Pflegemaßnahmen für Kinder mit chronischen Erkrankungen eine Dienstpflicht von Lehrerinnen und Lehrern im öffentlichen Dienst darstellt. In Deutschland (seit 2016) und Österreich (seit 2019) wurde das aber jetzt eindeutig geregelt. Die beiden Regelungen sind sich dabei sehr ähnlich.
Für Österreich gilt, dass Lehrerinnen und Lehrer nur zu solchen medizinischen Hilfsmaßnahmen verpflichtet sind, die „lediglich auf Allgemeinwissen beruhen (...) und jeder medizinische Laie erbringen darf“.
Zu solchen Tätigkeiten zählen zum Beispiel:
Die Frage für Eltern von Kindern mit Neurodermitis ist jetzt natürlich, was zählt als Medikament? Zählt die Kortisoncreme als Medikament? Was ist mit der Pflegecreme für die Haut? Grundsätzlich gilt Folgendes: Was verschreibungspflichtig ist, zählt sicher als Medikament. Das Einschmieren des Kindes mit einer Kortisoncreme wird deswegen sicher als medizinische Maßnahme zählen. Gleiches gilt für Medikamente, die das Kind herunterschlucken muss.
Aber was ist mit einer „normalen“ Hautpflegecreme? Also einer Creme, welche kein Kortison enthält und auch frei erhältlich ist? Hier gilt, dass die Creme zwar an sich kein Medikament ist, aber die Aufbringung auf die Haut nicht von jedem Laien erbracht werden kann. Bei einem Ekzem oder sensibler Hautstelle bedarf es eines besonderen Wissens, um diese Stellen gut pflegen zu können. Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass jede Person auf der Straße über dieses Wissen verfügt. Als Eltern sollten wir deswegen davon ausgehen, dass alle medizinischen und pflegerischen Tätigkeiten im Kontext der Neurodermitis unserer Kinder für Lehrerinnen und Lehrer nicht verpflichtend sind.
Bedeutet das jetzt, dass ein Lehrer überhaupt nichts machen darf? Nein. Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, dass sich Lehrpersonen freiwillig zur Übernahme von medizinischen und pflegerischen Tätigkeiten bei Kindern bereit erklären können. Die Lehrkräfte werden dann von der Schulärztin in die entsprechende Handlung eingeschult. Anschließend gilt die Erbringung dieser Handlung als Dienstpflicht. Wichtig ist dabei, dass diese Übernahme immer freiwillig durch die Lehrerin oder den Lehrer erfolgen muss. Oftmals kann es dabei zu Bedenken oder Unsicherheiten bei Lehrkräften kommen. „Was passiert, wenn ich etwas falsch mache? Wer haftet in einem solchen Fall?“ In Österreich können diese Bedenken zumindest ausgeräumt werden. Wenn sich Lehrpersonen zur freiwilligen Übernahme von diesen Tätigkeiten entschließen, dann haftet im Schadensfall die Republik und nicht die einzelne Lehrerin oder der einzelne Lehrer. Zumindest in diesem Punkt können wir als Eltern damit die Unsicherheiten nehmen.
Aber macht es überhaupt Sinn, diesen Weg zu versuchen?
Es hängt natürlich immer von der individuellen Situation ab. Unserer Erfahrung nach macht es aber wenig Sinn, diesen Weg zu gehen. Dafür gibt es zwei Gründe.
Erstens, haben viele Lehrkräfte Bedenken, medizinische oder pflegerische Tätigkeiten zu übernehmen, selbst wenn sie für Fehler nicht haften. Einerseits, weil sie das Gefühl haben, dass sie damit zusätzlich zum Unterricht noch eine Verpflichtung übernehmen müssen. Andererseits fühlen sich nicht alle Lehrkräfte damit wohl, mit der Haut von Kindern mit Neurodermitis in Kontakt zu kommen. Das liegt nicht daran, dass sie sich davor ekeln, sondern sich Sorgen machen, dem Kind Schmerzen zuzufügen. Unserer Erfahrung nach ist es deswegen sehr schwierig, Lehrer zu finden, die sich mit der Übernahme solcher Tätigkeiten wohlfühlen.
Zweitens, hält dieser Weg unsere Kinder davon ab, selbstständig zu werden. Die Schule ist eine große Veränderung. Der erste Schultag ist ein großer Moment im Leben der Kinder und der Eltern. Die Schule bedeutet auch den bisher größten Schritt in die Selbstständigkeit. Diese Selbstständigkeit sollten wir fördern. Ja, wir verstehen die Bedenken. Keiner kennt die Pflegeroutinen, die Herausforderungen und die Trigger unserer Kinder so gut wie wir. Wie sollen sie jetzt auf einmal selbstständig damit umgehen können? Die ehrliche Antwort ist, sie werden es nicht so gut machen wie wir. Sie werden vergessen sich einzucremen, sie werden sich kratzen, sie werden nicht auf Trigger achten, sie werden sich aus Absicht nicht eincremen, weil sie es „blöd“ finden. Aber trotzdem, unsere Kinder müssen früher oder später lernen, wie sie selbst damit umgehen können. Das ist natürlich ein Lernprozess. Erinnert euch zurück, wie ihr euch das erste Mal mit der Neurodermitis bei eurem Kind auseinandergesetzt habt. War das einfach und unproblematisch? Hat alles bereits beim ersten Versuch geklappt? Nein, natürlich nicht. Es war ein Prozess. Genau diesen Prozess müssen jetzt auch unsere Kinder durchlaufen. Sie müssen selbst lernen und herausfinden, was am besten für sie funktioniert. Nur dann werden sie auch irgendwann kompetente Erwachsene.
Der große Vorteil unserer Kinder ist der, dass sie da nicht alleine durch müssen. Unsere Töchter und Söhne können sich darauf verlassen, dass wir ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Aber wir müssen ihnen auch die Freiheit zugestehen, selbst die ersten Schritte auf diesem Weg zu gehen. Genau diese Freiheit nehmen wir ihnen aber, wenn jetzt statt der Eltern der Lehrer für die Pflege verantwortlich ist.
Natürlich gibt es Ausnahmen, jede Familie ist individuell. Aber wir sind überzeugt, dass die Schule nicht nur eine Herausforderung und ein Problem sein muss. Die Schule kann auch eine Möglichkeit für unsere Kinder sein, ein kleines Stück ihres Lebens selbst in die Hand zu nehmen. Der stärkste Trigger für Neurodermitis Schübe ist Stress. Stress ist unvermeidbar. Unser Leben wird immer aus Herausforderungen bestehen. Aber das größte Gegengewicht zum Stress ist die Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit ist das Gefühl, dass wir selbst eine Wirkung auf unser Leben ausüben können. Wir sind nicht vollständig von unserer Umwelt oder anderen Menschen abhängig, wir haben die Dinge selbst in der Hand. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeit Stress viel besser verarbeiten können. Sie werden seltener krank und sind zufriedener mit ihrem Leben. Genau diese Chance zu mehr Selbstwirksamkeit bietet der erste Schultag für unsere Kinder. Helfen wir ihnen deswegen, diese wichtige Eigenschaft zu entwickeln!
Welche drei Bereiche für den Schulstart mit Neurodermitis besonders wichtig sind, erfahrt ihr hier!